„Vorsicht“, rief mir die Ergotherapeutin zu, „wir haben eine Neue, eine Prima Ballerina.“ Und schon tanzte ein leichtes Wesen um die Ecke. In Leggings umhüllt mit flatternden Tüchern, tanzte die ältere Dame graziös am Handlauf des Ganges auf der Demenzstation entlang. Schwang die Beine durch die Luft wie ein junges Mädchen und kam mit einem Satz ins Pilé, sie strahlte von Kopf bis Fuß. Es war im Mai 2014.
Mein Vater beobachtete das Ganze völlig irritiert, duckte sich, um dem Armschwung auszuweichen und zerrte mich zur Seite. Die Dame war ihm nicht geheuer.
Die Ergotherapeutin erklärte mir, dass die Dame die ganze Station verwirbele. Das konnte ich mir gut vorstellen. Denn auch auf einer Demenzstation haben die Patienten ihre selbst geregelten Hierarchien, wer darf was, wann und mit wem und wehe das ringt jemand durcheinander. Das wird zum Teil heftig abgestraft, umgeschüttete Becher, versteckte Tempotaschentücher, und andere „kreative Strafen“. Rollifahrer werden dann schon mal unsanft in die Getränkekammer geschoben….
Mein Vater blieb auf jeden Fall still in seiner Ecke und beobachtete fasziniert, was um ihn geschah. Dann drehte er sich um und ging in Richtung seines Zimmers. Ich hinterher. An seiner Tür schaute er sich das Schauspiel noch mal aus sicherer Entfernung an, schüttelte den Kopf und sagte zu mir: „Weißt du, die ist plemplem!“
Ach, wieso ist anders immer unnormal?