Archiv der Kategorie: Irritation

Mein Vater, der Läufer (2)

Es klingelte, ich ging zur Tür und war total geschockt. Vor der Tür standen mein Vater und ein junger Mann. Ich machte auf und bekam nur „Papa…?“ raus. Der junge Mann sagte: „Ihr Vater stand an der B3 und verteilte Geld, mitten im Regen. Ich dachte, da stimmt doch was nicht, hielt an und Ihr Vater meinte, er wolle nach Hause. Er hat mich hierher gelotst.“ Vor lauter Schreck bekam ich nur ein „Danke“ raus und starrte beide an. Mein Vater war pitschepatsche nass, es regnete seit Stunden in Strömen. Er hatte nur Hausschuhe an, Gott sei Dank eine lange Hose und ein Hemd, und stand zitternd in der Tür. „Ich fahr dann mal wieder. Ihnen alles Gute.“ Mein Vater, der Läufer (2) weiterlesen

Keine Frage des Alters!

handDa sitzen wir gemütlich im Gemeinschaftszimmer, trinken Kaffee und essen Kuchen. Es ist Kaffeezeit und ich sitze mit meinem Vater am Tisch. Herr Schimmelschön-Käserübe-Langenscheid hat seinen eigenen Auftritt. Er steht in der Tür und lässt seinen Blick kreisen, zückt ein Rillo und schaut die Mitarbeiterin, die den Kuchen verteilt, erwartungsvoll an. Sie reagiert nicht. Er steckt den Rillo in den Mund und zückt das Feuerzeug. „Herr Schimmelschön-Käserübe-Langenscheid, Sie wissen doch, dass Sie hier nicht rauchen dürfen“, sagt sie. Mein Vater dreht sich rum, sagt aber nichts. Keine Frage des Alters! weiterlesen

Aussteigen – wie kommst du hier rein?

doors-1587329_640„Sag mal, wie kommst du hier eigentlich rein?“ Diese Frage stellte mein Vater in den ersten Monaten seines Heimaufenthaltes ständig und mit einem vorwurfsvollen Unterton. Stereotyp antwortete ich: „Durch die Tür!“ Jedes Mal schaute er mich ungläubig an. „Doch glaub mir. Ich klingle und mir macht jemand auf.“ Er nahm die Antwort hin, ich sah ihm aber an, dass er damit nicht zufrieden war, ging jedoch nicht darauf ein. Mir war klar, worauf er hinauswollte. Aussteigen – wie kommst du hier rein? weiterlesen

„Vater“ – ein Theaterstück

Vater_Theater„Irgendetwas Seltsames passiert. Als hätte ich Löcher im Gedächtnis. Kriegt keiner mit. Winzig klein. Mit bloßem Auge nicht zu sehen. Aber ich, ich spüre es …“, sagt André zu seiner Pflegerin am Ende im Heim.

André ist die Hauptfigur im Theaterstück „Vater“ von Florian Zeller. Es zeigt 15 Szenen aus dem Leben des dement werdenden André. Seine Tochter versucht, eine Betreuerin zu organisieren, ihr Vater  meint, er komme natürlich noch sehr gut allein zurecht. „Vater“ – ein Theaterstück weiterlesen

Die spinnen doch!

Frau unter Stress mit Haenden an den OhrenMein Vater und ich sitzen gut gelaunt und kaffeetrinkend im Gemeinschaftsraum. Versonnen schaut er sich um. Er ist damals gerade erst zwei Monate im Heim und noch neugierig, was um ihn herum passiert. Da schwirrt eine Dame herein, die ich noch nie gesehen habe. Mein Vater brummelt etwas verächtlich: „Die ist neu hier!“ „Ja und?“ „ Na, die ist komisch. Merkste gleich!“ Gespannt schau ich, was die Dame macht. Sie setzt sich hin, inspiziert ihren Kaffeebecher und stellt ihn wieder hin. „Gleich“, sagt mein Vater. Ich äuge rüber. Die spinnen doch! weiterlesen

Pizza mal anders

post it notesOb das noch gut geht? Immer wieder fragte ich mich das im Frühjahr 2013. Ich merkte, dass es „schlimmer“ wurde. Mich beschlich die Angst, dass mein Vater sich langsam selbst gefährdet. An diesem einen Donnerstag war ich den ganzen Tag beruflich unterwegs und mein Vater ungefähr sechs Stunden allein. Bisher ging das immer gut, aber diesmal hatte ich ein mulmiges Gefühl, keine Ahnung warum. Aber manchmal hat mal solche Vorahnungen. Pizza mal anders weiterlesen

Pappkartons

MüllbergWir laufen im Heim von Stockwerk zu Stockwerk, um meinen Vater zu suchen. Ihm war die Weihnachtsfeier 2013 nach einer Stunde zu langweilig und er sprang mit den Worten auf: „Ich geh‘ jetzt!“ Und – schwupps – war er verschwunden.
Der Herr, der die Deko als Plätzchen gegessen hatte, meinte, er sei mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren. Die Dame mit Glitzersternchen im Haar sagte: „Nein, nein, er ist nach unten gelaufen!“ Ich blickte etwas wirr durch die Gegend, bis eine Mitarbeiterin sagte: „Sie laufen nach oben, ich nach unten!“ Also los. Pappkartons weiterlesen

Prima Ballerina

Pointe Shoes„Vorsicht“, rief mir die Ergotherapeutin zu, „wir haben eine Neue, eine Prima Ballerina.“ Und schon tanzte ein leichtes Wesen um die Ecke. In Leggings umhüllt mit flatternden Tüchern, tanzte die ältere Dame graziös am Handlauf des Ganges auf der Demenzstation entlang. Schwang die Beine durch die Luft wie ein junges Mädchen und kam mit einem Satz ins Pilé, sie strahlte von Kopf bis Fuß. Es war im Mai 2014. Prima Ballerina weiterlesen