Kleine Kostbarkeiten

Coffee and cake as a morning meal. Tasty food background

„Papa, du siehst aber sexy aus!“ Er stand mit dem Rücken zu mir in Unterhosen und T-Shirt im Gemeinschaftsraum. Als ich ihn ansprach drehte er sich langsam um und schaute mich an. Der Pfleger bemerkte fast gleichzeitig: „Herr Schäfer, ziehen Sie sich lieber die langen Hosen an, sonst fallen die Damen hier in Ohnmacht.“ Jetzt lächelte mein Vater verschmitzt. Ich nahm ihn an der Hand, wir gingen gemeinsam in sein Zimmer und suchten eine Hose aus, in der er schick aussah.

Geschickt schlupfte er in die Hose, ich half nur ein wenig, ihm das T-Shirt in die Hose zu stecken. Darauf legte er Wert! Ich wundere mich immer wieder, wie topfit er körperlich ist. Steht auf einem Bein und balanciert in mit dem anderen in das passende Hosenbein! Das können viele in meinem Alter schon nicht mehr. Er flüsterte langsam: „Jetzt Kaffee… trinken?“ Hach! Es war ein guter Tag. Jedes Mal wenn ich zu ihm fahre, weiß ich nicht, was mich erwartet. Oft genug liegt er im Bett und ist müde von seinen nächtlichen Ausflügen durch das Haus. Er möchte dann nicht reden und schnauft nur unwirsch, wenn ich ihn anspreche.

Tage, an denen er redet, sind wunderbare Tage. Heute war so einer. Wir gingen Hand in Hand zurück ins Gemeinschaftszimmer. Der nette, neue Pfleger stellte sich mir vor. Er hatte für meinen Vater schon einen Kuchenteller hingestellt und uns beiden Kaffeetassen, die er jetzt füllt. Schon lange hatte ich nicht mehr mit Papa so vertraut am Kaffeetisch gesessen. „Das da ist gut!“ Er deutete auf den Kuchen, ließ mich sogar ein bisschen probieren. Die Dame, die beim Essen sonst neben ihm sitzt, hatte sogar einen Stuhl weiter Platz genommen. Das ist ein großes Entgegenkommen, normalerweise beschwert sie sich lautstark, wenn jemand auf ihrem angestammten Platz sitzt. Ich hatte sogar das Gefühl, sie lächelte mich an.
Mein Vater und ich beobachteten den neuen Pfleger, wie er unermüdlich versuchte, die älteste Bewohnerin der Station zum Essen zu überreden. Seit ein paar Tagen wolle sie nicht mehr so, sagte er. Aber mit seinem Charme schaffte er es, dass sie ein paar Bissen aß.

Als der Teller leer und die Tasse ausgetrunken war, steuerte mein Vater wieder sein Zimmer an. Ich ging hinterher, wusste ich doch, es hatte keinen Zweck, ihn zum Bleiben zu überreden. Kaum im Bett, schloss er die Augen und war sofort eingeschlafen. Ich blieb noch wenige Minuten und verabschiedete mich mit einem Kuss auf seine Wange.

Nur 15 Minuten saßen wir zusammen und tranken gemeinsam unseren Kaffee und fühlten uns sehr verbunden. Diese kleinen Momente, und sind sie auch noch so kurz, sind die kostbarsten Momente für mich.

 

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