Er hat „Malu“ gesagt

SommerfestEs ist Sommerfest im Heim. Natürlich scheint die Sonne und alles ist fein hergerichtet. Girlanden schmücken den Zaun, Biertischgarnituren sind im Hof aufgestellt, Blumenkästen frisch dekoriert und zur Zierde neu aufgestellt. Eine Band schmettert (etwas zu laut) abwechselnd die neuesten Popsongs und Volkslieder. Alle sind fröhlich, holen sich Kuchen und Kaffee, viele Verwandte sind da und schnattern mit Bewohnern und Mitarbeitern um die Wette.

Mein Vater ist noch in seinem Zimmer. Ich werfe ihn aus dem Bett mit den Worten: „Auf, raus mit dir, unten wird gefeiert!“ Der Ton duldet keine Widerworte und er steht auf, zieht sich die Hose an und geht brav hinter mir her zum Aufzug. Unten angelangt, finden wir auch gleich einen schönen Tisch, an dem seine Zimmernachbarin mit Schwester und Schwager sitzt. Ich organisiere seinen Lieblingskuchen, gedeckter Apfelkuchen, und Kaffee. Mit großem Appetit isst er den Kuchen und will gleich wieder aufspringen. Warum und wohin? Wer weiß? „Herr Schäfer, bleiben Sie doch noch ein bisschen, es ist doch so nett, mit Ihnen und Ihrer Tochter zu plaudern“, die Schwester der Zimmernachbarin strahlt ihn an. Brav setzt er sich wortlos hin. Er hat bis dato noch kein Wort gesprochen.
Alle 2 Minuten will er aufstehen, doch mit sanften Worten betört setzt er sich wieder und schaut uns unverwandt an. Das hält 15 Minuten.

Plötzlich springt er auf – keine Chance mehr, ihn zum Bleiben zu überreden – und läuft schnurstracks auf den Hofausgang zu. Ich hinterher. Er nimmt mich an der Hand und beide laufen wir vor dem Heim hin und her. Kehrtwende, wieder in den Hof, ins Gebäude rein, Treppe hoch, auf dem Gang hin und her. Treppe runter, eine Runde im Hof, zwei Treppen hoch, in sein Zimmer, gucken, wieder retour, den Gang entlang, Treppen runter, durch den Hof. Ich mag nicht mehr und sage: „Wohin willst du eigentlich?“ Sein Blick besagt: „Du bist schwer von Begriff, das ist doch klar wohin ich will!“

Diese Unruhe ist fürchterlich für mich. Unterwegs wollen mich Angehörige trösten „Das wird besser!“ Ich erwidere nur: „Derzeit wird es eher schlimmer!“ Wir sind inzwischen wieder in seinem Gemeinschaftsraum angekommen. Er setzt sich, stürzt einen Kaffee hinunter. Springt wieder auf, ich habe keinen Bock mehr, zu folgen und bleibe sitzen. Da dreht er sich rum, zerrt mich am Arm hoch und sagt, ganz lieb und freundlich: „Komm doch mit, Malu!“

Malu, er hat Malu gesagt. Ich verdrücke Tränen. Es ist so lange, dass ich meinen Namen aus seinem Mund gehört habe. Tief im Inneren weiß er also doch, wer ich bin!

Blogpost zum Thema Erkennen.

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