Würdevoller Abschied

„Ich muss Ihnen sagen, dass Ihr Vater eben gestorben ist. Mein herzliches Beileid.“ Auf den Anruf hatte ich fast gewartet. Aber der Reihe nach. An dem Tag als ich den Blogpost „Warten“ schrieb, ist mein Vater gestorben. Er ist friedlich eingeschlafen, so wie ich es ihm gewünscht hatte.
Als ich den besagten Blogpost gerade hochgeladen hatte, rief eine Mitarbeiterin aus dem Heim an: „Malu komm, es geht zu Ende.“ Ich hatte eh schon den Autoschlüssel in der Hand, war ich doch in dieser Woche jeden Tag bei ihm. Als ich sein Zimmer betrat, war mir klar: Ja, er wird den Tag wohl nicht überleben. Ich setzte mich an sein Bett, hielt seine Hand, streichelte ihm übers Gesicht und weinte stille Tränen.
Wunderbar, wie sich alle im Heim um mich gekümmert haben. Sie brachten mir Wasser und Kaffee und kamen alle halbe Stunde, um nach meinem Vater zu schauen. Er wurde umgebettet, er bekam die Lippen abgetupft, er wurde gestreichelt. Ich rief noch meine Kinder und ein paar Familienangehörige an, dass es wohl soweit sei. Meinen Cousin auch, der sich sofort auf den Weg machte. „Ich will meinen Patenonkel noch mal sehen“, sagte er.

Ich freute mich, dass er kam. Wir saßen sicher drei Stunden gemeinsam an seinem Bett. Papa atmete schwer, stöhnte manchmal und mein Cousin und ich erzählten uns alte Geschichten, die wir mit ihm erlebt hatten. Tröstlich war, dass er vielleicht irgendwie verstand, was wir erzählten. Wenn wir lachen mussten, fragte mein Cousin: „Gell, Werner, wir dürfen doch lachen?“ Und wir fanden, er lächelte mit. Als mein Cousin nach Hause fuhr, blieb ich noch zwei Stunden, dann musste ich einfach mal raus. Schlagartig fiel mir ein, dass viele Menschen erst sterben können, wenn die Angehörigen nicht mehr im Raum sind. Ich schaute meinen Vater an und dachte, er will in Frieden sterben und zu Mama. Liebevoll beugte ich mich über ihn und flüsterte in sein Ohr: „Papa, es ist gut. Ich liebe dich, aber du kannst jetzt gehen. Wir haben uns verabschiedet und Mama wartet auf dich“, gab ihm einen Kuss und fuhr.

Kaum hatte ich etwas gegessen, kam um 19:45 Uhr der Anruf: „Ich muss Ihnen sagen, dass Ihr Vater eben gestorben ist. Mein herzliches Beileid.“ Als ich keine 20 Minuten später wieder im Heim war, hatten die Mitarbeiter seinen Nachttisch bereits umdekoriert. Dort brannte nun eine Kerze und es lag ein Kreuz daneben, alles sehr liebevoll arrangiert. Das hat mir sehr gut getan. Das Fenster war leicht geöffnet. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, da glaubte jemand auch daran, dass die Seele durch das Fenster entweicht. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass er noch da war.

Später erfuhr ich von den Mitarbeitern, dass ich ein wunderbares Beerdigungsinstitut ausgesucht hätte. „So würdevoll wie diese Leute, machen das kaum andere und wir erleben ja einige. Wie sie Ihren Vater angezogen und in den Sarg gelegt haben. Sie haben sogar noch das ‚Vater Unser‘ am offenen Sarg gebetet. Das war einfach toll und ergreifend.“

Nach der Urnenbeisetzung sagte mir der Bestatter, ihm sei sehr wichtig, sich Zeit für das Ankleiden und Einsargen zu nehmen. „Manche Tote sind noch sehr präsent. Mit ihnen will ich sehr respektvoll umgehen und ganz konzentriert dabei sein. Das muss mit viel Würde geschehen, sonst könnte ich das nicht machen. Ihr Vater war noch sehr präsent.“

Ein Gedanke zu „Würdevoller Abschied

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