Es war im April 2016 und wir hatten schon einige Tage mit wärmenden Sonnenstrahlen, die uns einen Vorgeschmack auf den Sommer gaben. Als ich ins Heim kam, musste ich meinen Vater suchen. „Er ist mit Christa im Haus unterwegs“, sagte die Mitarbeiterin im Gemeinschaftsraum, in dem ich meinen Vater vermutete. Ich stutzte, „mit Christa unterwegs“. Komisch, er war eher der Einzelgänger und äußerst selten mit anderen im Haus unterwegs. Höchstens mit anderen männlichen Bewohnern, die versuchten den Papiermüll zu sortieren. Oder mit Mitarbeiterinnen, die ihn mit zu einer Veranstaltung nahmen. Doch mit einer Bewohnerin. Nun, ich ließ mich überraschen und suchte ihn in den anderen Stockwerken.
Und dann fand ich ihn im 1. Stock, Hand in Hand mit Christa am Gang entlang. Ich rief: „Papa!“ Aber er reagierte nicht. Also noch einmal rufen, und wieder keine Reaktion. Ich holte beide ein und stellte mich vor sie. Christa funkelte mich an, ich verstand, dass sie die Störung nicht wollte. Mein Vater schaute mich völlig unverwandt an. „Papa, ich bin‘s, Malu!“ Nichts! Okay, dann nicht. Ich bin einfach mit den beiden weitergegangen. Immer wieder blieben sie stehen, wenn Christa es wollte. Sie drehte sich dann zu Papa um, sah im sehr liebevoll in die Augen, strich ihm über das Gesicht. Es sah so zärtlich aus. Mein Vater blieb zwar reglos stehen, ließ sich aber die Berührungen von Christa gefallen. Ich war verwundert, denn Berührungen von anderen Bewohnern hat er bisher immer abgewehrt, nicht aggressiv aber deutlich. Die beiden standen wie ein Paar zusammen, ich freute mich für Papa. Ob er es so empfunden hat, weiß ich nicht. Christa schon, das sah ich ihr an.
Als mein Papa sich auf einen kleinen Sessel setzte, um sich etwas auszuruhen, setzte sich Christa auf seinen Schoß und streichelte ihm wieder zärtlich über das Gesicht, das ließ er wieder zu. Nach ein paar Minuten standen sie auf und gingen weiter. Ich blieb neben meinem Vater. Sie gingen die Treppe hoch. Im 2. Stock angekommen, blieb Christa stehen, zog meinen Vater zu sich und legte ihren Kopf an seine Schulter. Ein wenig hilflos umarmte Papa sie und hielt sie fest. Sie schaute mich an, zog die Stirn in Falten und schubste mich weg. Das war eindeutig, sie wollte mich nicht dabeihaben. Mit einem: „Ich lass euch jetzt mal alleine“, verabschiede ich mich von meinem Vater und ertappte mich dabei, dass ich fast auf Zehenspitzen wegging, um sie nicht zu stören.
Diese Szenen berührten mich noch Wochen, immer wieder musste ich daran denken. Auch beim Kaffeetrinken in den nächsten Wochen erlebte ich, dass sich Christa um ihn kümmerte und dafür sorgte, dass er Kuchen auf dem Teller hatte und immer frischen Kaffee in der Tasse.
Es ist zauberhaft, dass die Liebe bleibt. Egal wie dement Menschen werden, Liebe verstehen alle. Ein wunderbarer Gedanke, dass Liebe nicht im Vergessen endet.