Es ist schade, dass mich der Welt Alzheimertag erst interessierte als mein Vater an Demenz erkrankte. Dabei wird er seit 1994 am 21. September begangen. „Erst wenn man selbst betroffen ist, interessiert einem ein solch schwieriges Thema“, sagte mir mal die Tochter eines Bewohners im Heim. Ja, sie hatte recht. „Schwierige“ Themen lassen wir nicht an uns heran, bis sie uns einholen. Rückblickend bin ich froh, dass ich mit dem Thema schon seit etwa 2005 konfrontiert wurde. Ich arbeitete damals einige Jahre in Bad Nauheim in der Parkinson Klinik als PR Referentin. Parkinson Patienten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit an Demenz zu erkranken als der Bevölkerungsdurchschnitt. Immer wieder musste ich Fachartikel über Parkinson und Demenz in Patientensprache übersetzen.
Mir half das, die ersten Anzeichen bei meinem Vater zu erkennen und dabei wurden mir meine Ängste bewusst: „Was kommt da auf mich zu?“ Eigentlich wollte ich es gar nicht so genau wissen, aber ich konnte mich dem nicht verschließen. Die Theorie hatte ich im Kopf, die Praxis holte mich nach und nach ein. Zumindest wusste ich, was von medizinischer Seite zu tun war, das gab mir Sicherheit. Jedoch scheiterte ich kläglich in der Umsetzung, weil mein Vater jegliche Untersuchungen verweigerte. Drei Jahre dauerte es, bis er ins Krankenhaus musste, dort diagnostiziert wurde und medikamentös behandelt werden konnte. Drei schwierige Jahre, in denen viele Menschen, Freunde und Verwandte sahen, dass er „komisch und vergesslich“ wurde. Meine Beziehung zu ihm gestaltete sich neu, ich war nicht mehr Tochter, die zu ihrem Vater aufschaute, sondern wurde mehr und mehr zur Betreuerin, die aufpasste, dass ihm nichts passierte. Eine sehr schwerwiegende Veränderung im Umgang miteinander. Gerne hätte ich zwischendurch mit anderen betroffenen Angehörigen darüber gesprochen, wie sie solche Situationen gelöst hatten.
Manches wäre einfacher gewesen, wenn die Öffentlichkeit informierter gewesen wäre. Vielleicht wäre mein Vater nicht verwundert angesprochen worden, wenn er stolz mit einem Euro in der Hand am Spielplatz zum Eisauto gelaufen ist und das Eis für sich kaufte und nicht wie andere für Kinder oder Enkel (Warum darf man dort als Erwachsener nicht für sich ein Eis kaufen? Das hab‘ ich nie begriffen.) Vielleicht hätten manche nicht mit dem Finger auf ihn gezeigt, wenn er mit langen Unterhosen über der Jeans zum Einkaufen ging und er dachte, warum gucken die so komisch und tuscheln? Ist ja alles angezogen, was da rumlag. Vielleicht hätte man am Postschalter nicht nur mit der Schulter gezuckt, wenn er seine Kartenpin nicht mehr wusste und nach 3maliger Eingabe wieder eine Karte gesperrt wurde. (Kostet ja auch jedes Mal eine Gebühr, sich eine neue ausstellen zu lassen.)
Solche Tage wie der Welt Alzheimertag sind wichtig. Es müsste viel mehr öffentlichkeitswirksame Aktionen geben. Gute Artikel in der Tageszeitung reichen nicht aus. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir alle an Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz erkranken können. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, weil wir mit wesentlich mehr Kranken in den nächsten Jahren bekommen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, weil wir noch keine oder nur sehr wenige Konzepte haben, im Alltag damit umzugehen. Sie ins Heim zu geben, ist eine Option, wenn es nicht mehr anders geht. Jedoch haben auch die wenigsten Heime ein Konzept. Wie gestaltet sich in Zukunft das Miteinander – Zuhause und in geschützten Einrichtungen?
Das Motto des Welt-Alzheimertages 2017 lautet in Deutschland:
Demenz. Die Vielfalt im Blick
Damit soll gezeigt werden: Demenz hat viele Formen und Gesichter. Meist erkranken Menschen erst im höheren Alter an einer Demenz, manchmal jedoch schon während der Berufstätigkeit. Die Krankheit verändert sich auch im Verlauf. Zu Beginn sind Betroffene weitgehend selbstständig, haben viele Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten. Im späten Stadium benötigen sie immer mehr an Unterstützung. Am Lebensende können sie ihre Bedürfnisse kaum noch ausdrücken und brauchen eine einfühlsame Begleitung. Menschen mit Demenz können traurig und verzweifelt sein, wenn sie sich einsam und hilflos fühlen. Doch wenn sie im Kontakt mit anderen sind, Liebe und Wertschätzung erfahren, können sie auch Freude am Leben entfalten.
Jeder Mensch ist anders – sorgen wir gemeinsam dafür, dass alle sich als Teil unserer Gesellschaft fühlen können!
Es ist Welt Alzheimertag. Liebe Öffentlichkeit – wir müssen reden!