Ich hadere manchmal

Zwei Senioren sitzen auf einer Bank im Park im Sommer

„Ach, das hat doch die Mutti verabredet, was weiß ich!“ Diese Aussage hörte ich immer bei meinem Vater, wenn ich nach einer Verabredung am Wochenende fragte. Meine Eltern gehören zu der Generation, in der die Ehefrauen für die Sozialbeziehungen zuständig waren. So hat meine Mutter wie selbstverständlich auch die Termine organisiert, die mein Vater mit seinen Schulfreunden ausgemacht hat. Und wie selbstverständlich sind diese Freunde auch die Freunde meiner Mutter geworden. Ich habe nie erlebt, dass mein Vater mal mit seinen Kameraden allein losgezogen wäre.

Das lag wohl auch an den Umständen. In den ersten 20 Jahren ihrer Ehe führten sie eine Wochenendbeziehung, da wollten sie natürlich alles gemeinsam machen. Aber bei den andern Ehepaaren war es genauso. Geburtstag, Silvester, Sommerfeste alles wurde gemeinsam gefeiert. Mit der Familie des besten Schulfreundes sind wir früher oft gemeinsam in Urlaub gefahren.

Nachdem meine Mutter 2008 so plötzlich gestorben ist, zog sich mein Vater in ein Schneckenhaus zurück. Da war niemand mehr, der die Beziehung gepflegt hat. Manche Freunde versuchten, ihn zum Geburtstag einzuladen. Ich musste ihn meist zwingen hinzugehen, oft genug kam er nach einer Stunde wieder nach Hause, oder sagte, er habe niemanden angetroffen. Er wollte wohl nicht die anderen Ehepaare sehen. Das ist meine Vermutung, darüber gesprochen hat er nie. Den einzigen Kontakt, den er selbst gehalten hat, war zur Frau eines bereits verstorbenen Schulfreundes, die nun selbst sterbenskrank war und ein Jahr später gestorben ist. Und da war die Schwägerin zu der er in den ersten Jahren nach Mutters Tod immer zum Mittagessen gegangen ist. Das tat ihm sichtlich gut.

Ein Freund kam immer wieder einfach so vorbei, sie tranken ein Bierchen und schwatzten über alte Zeiten. Ich hörte fröhliches Lachen und merkte, dass ihm der Kontakt gut tat. Hinterher berichtete er mir glücklich über die Neuigkeiten im Alltag des Freundes.
Mit zunehmender Demenz zog sich mein Vater immer mehr zurück, öffnete auch diesem Freund nicht mehr die Tür. „Ich habs gar nicht klingeln hören“, war seine Ausrede. Er konnte die Fassade, dass ‚alles in Ordnung sei‘ nicht mehr länger als ein paar Minuten aufrecht erhalten.

Als mein Vater ins Heim kam, besuchten die einen oder anderen ihn anfangs noch. Aber auch das wurde weniger. Besagter Freund hatte ihn nach einem Jahr überraschend im Heim besucht und war hinter so deprimiert, dass er lange mit mir gesprochen hat und mir erklärte, dass er nicht mehr hingehen könne. Ich kann ihn gut verstehen. Es ist schlimm einen lebenslangen Freund so zu begegnen. Man ist plötzlich konfrontiert mit einem Freund, der unverwandt in die Gegend schaut, kaum mehr richtig sprechen kann und seltsame Dinge tut. Dieser Freund ruft mich ab und zu an und fragt, wie es meinem Vater geht.

Ich kann jeden verstehen, der eine solche Situation nicht oder kaum aushält. Es ist ja auch schrecklich. Sie sind etwa im gleichen Alter und vermutlich geht es ihnen auch deswegen so nahe. Trotzdem hadere ich damit, dass diese Männergeneration es nicht gelernt hat, Beziehungen zu pflegen. Es ist so schade. Es wäre vielleicht so wichtig, weiterhin über alte Zeiten zu reden.

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