So einfach kommt man nicht ins Krankenhaus

„Warum rufen Sie mich denn ständig an, Sie sind doch nicht meine Patientin!“ Ich musste 10x tief durchatmen bei dieser Antwort des Hausarztes meines Vaters, schließlich war ich seine Betreuerin und mein Vater schon sehr dement, er konnte und wollte nicht selbst mit dem Arzt Kontakt aufnehmen. Kapierte der Arzt das nicht? Damals im Frühjahr / Sommer 2013 überschlug sich alles für mich. „Weil ich Sie brauche, damit mein Vater ins Krankhaus kommt zur genaueren Untersuchung.“ „Sie können aber doch niemanden zwingen, ins Krankenhaus zu gehen. Nur bei massiver Selbstgefährdung.“

Ich war völlig verzweifelt damals. Was musste denn noch geschehen? Für mich war klar, was mein Vater alles unternahm war nicht nur Selbstgefährdung, er gefährdete zumindest alle, die im Haus wohnten. Sein Tag-Nacht-Rhythmus verschob sich immer mehr. Er ging um 17 Uhr ins Bett, stand um 1 Uhr wieder auf und lief zu unserem Bäcker und trommelte an die Ladentür, verärgert, dass sie noch geschlossen hatten. Wenn er nach Hause kam und ich ihn fragte, wo er war, antwortete er erbost und achselzuckend: „Ich wollte Brötchen holen, aber die haben zu. Die wollen wohl nichts verkaufen. Und was soll ich jetzt frühstücken?“ Anfangs versuchte ich noch, ihm zu verstehen zu geben, dass es mitten in der Nacht sei und der Bäcker erst um 6 Uhr öffnen würde. Er schaute nur ungläubig, „was erzählst du da für einen Blödsinn?“ Er zog sich in die Küche zurück, machte sich einen Kaffee und aß harte, alte Brötchen. Ich versuchte zu schlafen, was mir selten gelang, da ich ständig auf verdächtige Geräusche lauschte.

Das dauerte meist nicht lange bis ich lautes Klopfen, Schimpfen und Gepolter aus seinem Werkzeugkeller hörte. Das zu ignorieren gelang mir kaum, aber irgendwann schlief ich erschöpft ein. Am nächsten Morgen, wenn Papa wieder im Tiefschlaf im Bett lag, ging ich in den Keller und sah die Bescherung: Mit Hammer und Lötkolben hatte er ausprobiert, was er alles „reparieren“ konnte. Ich war so manches Mal froh, dass das Haus noch stand. Es musste dringend etwas geschehen. In diesen Wochen konnte ich keine Nacht mehr schlafen, ich hatte Angst, dass er irgendwann nicht mehr nach Hause zurückfinden würde, oder auf noch kreativere Ideen kam, als den Keller unter Wasser zu setzen, Pizza mit Gummibärchen zu belegen und im Backofen bei 200° fertig zu backen. Dass er im Garten alle Büsche und Sträucher zurechtstutzte, den Müll und seine Akten täglich neu sortierte, mit seinen Rosen Gespräche führte und täglich zum Eisauto ging, um eines für sich zu kaufen, waren harmlose Dinge und ich sah das völlig entspannt.

An dem einen Morgen Mitte Juni 2013, als ich zu ihm in die Küche ging und den kleinen Frühstückstisch mit Stühlen umgeworfen auf dem Boden sah, erschreckte ich mich zu Tode. Im Wohnzimmer waren Kissen, Decken und Möbel umsortiert und die Couch völlig auseinandergenommen. An diesem Morgen rief ich mindestens zum 5ten Mal bei seinem Hausarzt an, um eine Einweisung ins Krankenhaus zu bekommen. Ohne Erfolg: „Warum rufen Sie mich denn ständig an, Sie sind doch nicht meine Patientin!“ „Mein Vater ist ihr Patient, wenn ich nicht eine Überweisung bekomme und Sie vorher mit der gerontologischen Station geredet haben, setze ich ihn einfach vor die Stationstür und fahre wieder heim.“ Wahrscheinlich hat er meine Verzweiflung endlich gespürt. Nach langem Hin und Her telefonierte er mit dem Krankenhaus und ich bekam einen Termin am übernächsten Tag. Ich hoffte inständig, dass mein Vater dort bleiben würde.

(Foto: Pixabay Tama66)

3 Gedanken zu „So einfach kommt man nicht ins Krankenhaus

  1. Hallo!

    Ich bin gerade beim Blogwühlen auf den Eintrag gestoßen. Da ich vor Jahren meine Großmutter betreut habe, ist mir die Episode mit dem Arzt nicht ganz unbekannt. Bei Omi lief es darauf hinaus, daß ihre Hausärztin sie wie immer behandelte, teils ruppig, verständnislos, unwillig. Aber mal zu sagen „wir schalten jetzt den MDK ein“, war zu viel verlangt. Am Ende mußte sie, weil von Mobiler Hilfe und mir dann nicht mehr nur Freundlichkeiten kamen.
    Leider ist so ein Verhalten keine Seltenheit. Das Schlimme auf einem Dorf ist, das man nicht mal eben zwei Straßen weiter zu einem anderen Arzt gehen, damit er sich den betroffenen Menschen anschaut. Man muß mit dem zurechtkommen, den man vor der Nase hat. Ein Unding!!

    Mit besten Sonntagsgrüßen,

    Franziska

    1. Liebe Franziska,
      danke für Ihren Kommentar. Ja, das ist in einem Dorf echt schwierig, da muss man hart im Nehmen sein und hartnäckig Hilfe einfordern. Nicht einfach für Angehörige, die eh schon belastet sind.

      Bei uns war das Problem, dass mein Vater erst zwei Jahre vor Beginn seiner Demenz zu dem Hausarzt wechselte, da seine langjähre Ärztin aufgehört hatte zu praktizieren. Der neue Arzt kannte mich praktisch gar nicht und meinen Vater kaum, da er nicht gerne zum Arzt ging.

      (Entschuldigng, dass ich jetzt erst antworte. Ich war im Urlaub.)

      Herzliche Grüße und alles Gute
      Malu

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