„Lächeln, Papa, lächeln bitte, wir wollen das Bild doch den Mädels schicken!“ Ich versuchte mich als „Pausenclown“, um meinem Vater ein Lächeln abzugewinnen. Er wollte fotografiert werden und das Bild seiner Enkelin schicken, die gerade für ein halbes Jahr in Südamerika war. Nun, das mit dem Lächeln klappte mehr recht als schlecht. „Papa, Lächeln ist das, wo man die Mundwinkel hochzieht! – Beide!“ Na bitte, geht doch. Klick, klick, das Foto war im Kasten und Papa fröhlich. Er schaute mir genau über die Schulter, als ich das Bild per WhatsApp losschickte. Prompt kam die Antwort. Sicher hat er nicht verstanden wie das funktionierte, aber es war bei ihm angekommen, dass seine Enkelin das Bild gesehen hatte und für gut befand. Er lächelte still und zufrieden in sich hinein!
Die für mich erste Weihnachtsfeier 2013 auf der Demenzstation war, ehrlich gesagt, ein Erlebnis der besonderen Art. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, ich fühlte mich wie in einem Paralleluniversum, da alle in ihrer eigene Welt leben und es nur wenige Schnittmengen der Welten gibt. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind eine solche Schnittmenge und Feiern wie diese eben.
Wir saßen alle um einen großen gedeckten Kaffeetisch, es gab Teller mit Plätzchen und Stollen bis zum Abwinken. Dezente Weihnachtsmusik im Hintergrund untermalte das Ereignis. Eigentlich war es wie eine von vielen anderen Weihnachtfeiern. Mein Vater hatte es schon recht lange hier am Tisch ausgehalten. Sonst ging das eine knappe halbe Stunde gut, dann sprang er auf. Heute aß er ein Stück Stollen nach dem anderen. Er war gut gelaunt!
Ich blickte mich um: Die Dame mir gegenüber bekam feuchte Augen, als „Süßer die Glocken nie klingen“ angestimmt wurde, alle sangen mit. Der Herr schräg gegenüber trommelte dazu energisch und konsequent im falschen Takt auf den Tisch. Die Dame hinter mir brüllte eine Tonlage zu tief und schräg in mein Ohr. Der Herr zu meiner Linken versuchte, mir Kaffee einzuschenken und aß die Weihnachtsdekoration. Es waren Elche aus weißem Fimo, sie sahen auch aus wie Plätzchen. Er wundert sich nur, dass er sie nicht beißen konnte und legte sie fein säuberlich nach ein paar Minuten wieder in die Tannenzweig-Deko.
Mein Vater nahm sich das achte Stück Stollen stopfte es in den Mund, schüttete Kaffee hinterher und sagte: „Saddam kommt heute nicht mehr!“ Sprang auf und huschte in den Aufzug. Dieser wurde gerade repariert. Da musste doch der alte Siemens-Elektriker nachgucken. Bei der Testfahrt blieb er prompt mit dem Monteur stecken.
Frohe Weihnachten!
„Man sieht nur mit dem Herzen gut!“ Diese tiefe Weisheit dieser Aussage erlangt im Prozess der Veränderung bei demenziellen Erkrankungen eine besondere Bedeutung. Beim „Wohlfühltelefon plus“ sehen die WohlfühlanruferInnen mit dem Herzen und dem Hörsinn. Eine schöne Form der Alltagsbegleitung.
Das Problem für uns selbst ist, dass wir alles viel zu sehr bewerten, einordnen wollen in die uns bekannten Muster. Einfach (Weihnachten mal anders) geschehen lassen, das fällt so schwer, gerade in Verbindung zu geliebten Menschen, die wir doch ganz anders kannten.