Schlagwort-Archive: eigene Welt

Mein Vater, der Läufer (1)

„Mensch Papa, wo kommst du denn her?“ Er schaute mich irritiert an: „Das weiß ich doch nicht!“ Mitten in der Nacht, es war wohl etwa 3 Uhr, stand mein Vater orientierungslos in seinem Flur. Angezogen, ja wie soll ich das beschreiben. Angezogen war er, aber die lange Unterhose über der kurzen Jeans, die Jeansjacke unter dem Pulli – so stand er vor mir wie ein kleiner Junge. Er schaute mich betreten an, weil er nicht mehr wusste, wo er was und was er jetzt machen sollte. „Komm, zieh deinen Schlafanzug an und geh wieder ins Bett. Schau es ist dunkel draußen, Mitten in der Nacht. Da schlafen alle Leute.“ Mit einem „Achso“, drehte er sich um, ging ins Bad, zog seinen Schlafanzug an und legte sich wieder ins Bett, er rief mir noch: „Gute Nacht“, zu. Mein Vater, der Läufer (1) weiterlesen

Eine Art Gymnastik

Bürstenwurm„Huch Papa!“ Erstaunt schaute ich meinen Vater an, als ich zum Besuch sein Zimmer betrat. Erwartete ich doch, dass er- wie meist – im Bett lag, zur Wand blickte und ich ihn erst mehrmals ansprechen musste, bis er sich mir zuwenden würde. Heute war ich sprachlos. Er saß auf dem Bett, schaute mich erwartungsvoll an und balancierte eine PET-Flasche auf seinem Arm. Ich grinste, setzte mich zu ihm, gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er wehrte mich aber ab. Schließlich störte ich seine Versuche, die PET-Fasche auf seinem Kopf zu balancieren. Eine Art Gymnastik weiterlesen

„Vater“ – ein Theaterstück

Vater_Theater„Irgendetwas Seltsames passiert. Als hätte ich Löcher im Gedächtnis. Kriegt keiner mit. Winzig klein. Mit bloßem Auge nicht zu sehen. Aber ich, ich spüre es …“, sagt André zu seiner Pflegerin am Ende im Heim.

André ist die Hauptfigur im Theaterstück „Vater“ von Florian Zeller. Es zeigt 15 Szenen aus dem Leben des dement werdenden André. Seine Tochter versucht, eine Betreuerin zu organisieren, ihr Vater  meint, er komme natürlich noch sehr gut allein zurecht. „Vater“ – ein Theaterstück weiterlesen

Der Wasserschaden

Der Wasserschaden Es war Anfang April 2013. Ich war mitten in den Vorbereitungen einer größeren Veranstaltung und entsprechend angespannt. Ein Promi sollte der Gastredner sein und da musste alles stimmen. Am Vortag war ich in der Location, um alles für den großen Tag zu richten. Eine Freundin war bei meinem Vater. Sie wollte so nett sein, ein bisschen mit ihm im Garten zu arbeiten. Der Wasserschaden weiterlesen

Wie im Straßencafé

StraßencafeWir saßen im Gang der gerontopsychiatrischen Station des Friedberger Krankenhauses und schauen was passiert. Mein Vater war im Sommer 2013 dort für etwa drei Wochen. Zuvor hatte sich sein Zustand zu Hause sehr verschlechtert. Der Tag-Nacht-Rhythmus war umgekehrt, die Ärzte wollten versuchen, dies medikamentös auf die Reihe zu bekommen, was schließlich nicht funktionierte. Wie im Straßencafé weiterlesen

Bis der Weihnachtsmann kommt…

Weihnachtsfeier2015Weihnachtsfeier! Diese wurden mit viel Liebe von den Mitarbeitern vorbereitet. Ich war gespannt, wie es in diesem Jahr sein würde, bei seiner ersten wartete Papa vergeblich auf Saddam, bei der zweiten im letzten Jahr bekam er Tinnitus vom vielen Singen. Was würde diesmal sein?
Er wollte in diesem Jahr so lange am Tisch sitzen bis der Weihnachtsmann kommt. Das hat er mir trotz Wortfindungsproblemen immer wieder versichert. Bis der Weihnachtsmann kommt… weiterlesen

Theoretisches Basteln

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„Und? Was habt Ihr heute gemacht, Papa?“ „Was ganz Komisches.“ Es war im Sommer 2013, er war gerade ein paar Tage im Krankenhaus bevor er ins Heim kam. Bei seiner Antwort schaute er mich sehr unwirsch an. „Es hat dir also nicht gefallen?“ „Ach was soll ich sagen, es war wie… wie, also … .“ Theoretisches Basteln weiterlesen

Du hast einen an der Waffel

Bürstenwurm Demenz

„Oh, die müssen Sie probieren, die sind köstlich!“ Der Arzt, der donnerstags auf die Demenzstation kommt, huscht mampfend an mir vorbei. Er hat eine frisch gebackene Waffel in der Hand, aus der Schokocreme trieft. Sein Blick ist verklärt.
Neugierig gehe ich ins Gemeinschaftszimmer, aus dem herrlicher Waffelduft strömt. Eine Mitarbeiterin begrüßt mich geschäftig: „Kommen Sie, Sie bekommen auch eine. Wir stimmen uns auf Weihnachten ein.“ Da mein Vater nirgends zu sehen war, sage ich: „Ich geh erst Papa holen. Wir essen dann zusammen.“ Du hast einen an der Waffel weiterlesen

Die spinnen doch!

Frau unter Stress mit Haenden an den OhrenMein Vater und ich sitzen gut gelaunt und kaffeetrinkend im Gemeinschaftsraum. Versonnen schaut er sich um. Er ist damals gerade erst zwei Monate im Heim und noch neugierig, was um ihn herum passiert. Da schwirrt eine Dame herein, die ich noch nie gesehen habe. Mein Vater brummelt etwas verächtlich: „Die ist neu hier!“ „Ja und?“ „ Na, die ist komisch. Merkste gleich!“ Gespannt schau ich, was die Dame macht. Sie setzt sich hin, inspiziert ihren Kaffeebecher und stellt ihn wieder hin. „Gleich“, sagt mein Vater. Ich äuge rüber. Die spinnen doch! weiterlesen

Seit wann isst du Leber?

Backfisch mit KartoffelsalatDiese Frage aus dem Film „Honig im Kopf“ beamte mich um ca. drei Jahre zurück. Wir saßen am Mittagstisch, ich hatte für uns Fisch gebacken und für meinen Vater ein Schnitzel, da er zeit seines Lebens keinen Fisch gegessen hatte. Beherzt packte er zu und nahm sich einen Backfisch, wir schauten uns an und ich sagte: „Papa, seit wann isst du Fisch?“ Mein Vater schaute mich ganz erstaunt an und erwiderte: „Der sieht doch lecker aus, also schmeckt er!“ Seit wann isst du Leber? weiterlesen