„Papa, bitte geh duschen, du stinkst wie ein Waschbär!“ Seit einigen Monaten schon vergaß mein Vater zu duschen. Bisher hatte diese Ansage immer geholfen. Er schaute mich dann erschrocken an, roch unter den Achseln und sagte: „Ohje! Na dann geh ich mal!“ Wenig später kam er stolz aus dem Bad mit selbstgefälligem Blick. „Wow, jetzt bist du schick und riechst wieder sehr gut“, antwortete ich. Er grinste schelmisch.
Anfang 2013 funktionierte das nicht mehr. Nach meiner Ansage, schaute er mich erstaunt, ja fast böse, an und sagte: „Das kann nicht sein, ich habe eben gerade geduscht!“ Die ersten Male rollte ich die Augen und hielt dagegen: „Ist ja gar nicht wahr!“ Er stapfte beleidigt davon. Ich zuckte mit den Achseln und ging hoch in meine Wohnung.
Für mich war das schwer auszuhalten. Denn er roch nach einer Woche fürchterlich. Erst dachte ich: „Gut, das muss ich jetzt aushalten.“ Aber wenn er mir beim Essen am Tisch gegenüber saß und der penetrante Schweißgeruch über den Tisch wehte, sobald er den Arm hob, verging mir der Appetit. Wieder und wieder bat ich ihn zu duschen, er wurde böse, stampfte die Treppe runter und verschanzte sich in seinem Wohnzimmer. Ich ging ihm nach und atmete nur flach, wenn ich sein Wohnzimmer betrat, baute mich vor ihm auf und sagte eindringlich: „Geh jetzt sofort duschen!“ Wir tauschten böse Blicke! Ich: „Du wirst mich nicht eher los, bis du duschen gehst!“
Meist ging er dann nach 10 Minuten sprachlos ins Bad, kam tatsächlich frisch gewaschen heraus und würdigte mich den Rest des Tages keines Blickes mehr. In der Zwischenzeit räumte ich seine Schmutzwäsche in den Waschkeller und legte ihm frische Sachen hin. Denn frische Kleidung „brauchte“ er ja auch nicht mehr…
Eine Situation, die ich als sehr belastend empfand. Meine Fantasie ging mit mir durch und ich stellte mir vor, wie ich ihn duschen würde. Aber wie, wenn er absolut nicht wollte? Er hatte sehr viel Kraft, dagegen konnte ich nicht angehen. Ich spielte verschiedene Szenarien durch. Vielleicht könnte ein ambulanter Pflegedienst eine Möglichkeit sein, der nur kommt, um bei der Körperpflege zu helfen? Ich hatte mich schon schlau gemacht, dass das gehen würde. Aber würde er sich von fremden Menschen duschen lassen? Keine Ahnung.
Durch den Krankenhausaufenthalt und dem Umzug ins Heim „löste“ sich das Problem von selbst.
In dieser Phase ahnte ich bereits, dass es nicht mehr lange zu Hause gut gehen würde, ich kam physisch und psychisch an meine Grenzen, merkte es jedoch noch nicht. Das Verhältnis Vater-Tochter begann sich dramatisch zu verändern. Bauchte er bis Ende 2012 nur etwas „Anleitung“, um den Alltag geregelt zu bekommen, befürchtete ich nun, dass er langsam vor sich selbst geschützt werden müsste. Aber ich brauchte eine Zeit, um mich an diesen Gedanken zu gewöhnen.