Theoretisches Basteln

seamless pattern background, with strokes, splashes, triangles and stripes

„Und? Was habt Ihr heute gemacht, Papa?“ „Was ganz Komisches.“ Es war im Sommer 2013, er war gerade ein paar Tage im Krankenhaus bevor er ins Heim kam. Bei seiner Antwort schaute er mich sehr unwirsch an. „Es hat dir also nicht gefallen?“ „Ach was soll ich sagen, es war wie… wie, also … .“ Er suchte nach dem passenden Begriff und als er ihn gefunden hatte, strahlte er mich an: „Wir haben theoretisches Basteln gemacht!“

Nun war ich an der Reihe komisch zu gucken. „Papa, was ist das?“ Langsam und immer wieder nach Worten suchend berichtete er mir, dass sie irgendwelche Formen auf Papier malen sollten. Wörter, gar eine kleine Geschichte, geschrieben haben, seltsame Zeichnungen, Kreise mit Nummer drin und dann noch Pfeile malen sollten. Rechtecke und Dreiecke zeichnen und gucken was da reinpasst. „Nur nix ausschneiden, also alles auf Papier halt“, sagte er immer wieder. „Das war komisch, ganz viel Papier, viele Blätter dann sollte ich noch Farben aufschreiben und welchen Tag wir haben und ich sollte noch aufschreiben, welche Jahreszeit wird haben. – Die sind doof, braucht man nur rausschauen, da sieht man doch, dass Winter ist.“

Ich schaute raus, es war Juli, es war heiß und die Bäume und Blumen strahlten im Sonnenschein. Ich seufzte und hatte immer noch keine Vorstellung von dem, was sie den Tag über gemacht hatten. Er plapperte fröhlich weiter, zumindest hat es ihm offensichtlich Spaß gemacht. Bis mir dämmerte, was „die“ mit ihm gemacht hatten. Sehr schlau das Ganze!

Mein Vater hatte nie wahrnehmen wollen, dass er sich veränderte, dass er dement wurde. Wenn ich versuchte, mit ihm zum Arzt zu gehen, um sich mal „durchchecken“ zu lassen, wurde er sehr wütend: „Ich bin kerngesund! Bin ja regelmäßig bei Siemens untersucht worden, sonst hätte ich ja nie zum Saddam gedurft. Mir fehlt nichts. Basta!“ Nur, dass die letzte betriebsärztliche Untersuchung etwa 8 Jahre zurücklag, realisierte er schon nicht mehr. Zwingen konnte ich ihn nicht. Es war auch sehr schwierig, dass er überhaupt ins Krankenhaus gegangen ist. (Dazu später mal mehr.)

Im Januar 2013 ist er einmal zum Arzt, da hatte ich es geschafft. Als dieser ihn aufforderte, eine Uhr zu zeichnen und die Ziffern reinzuschreiben, schaute mein Vater eine Minute aufs Blatt, strich wütend alles durch, sprang auf und schrie den Arzt an: „Wenn Sie noch nicht mal wissen, wie viel Uhr es ist, kann ich Ihnen auch nicht helfen“, lief aus der Praxis zum Auto. Ich schulterzuckend hinterher. Den restlichen Tag saß er wütend vor dem Fernseher und motze über den „doofen Arzt“. Das war der missglückte Versuch, einen Demenztest durchzuführen.

Und genau das hatten sie jetzt im Krankenhaus geschafft, dass er tatsächlich in der Gruppe mit anderen einen Demenztest gemacht hatte. Ich musste ja grinsen, auch wenn mein Vater überlistet wurde. – Theoretisches Basteln halt! Ist doch klar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert