Der Film-Pult oder so

„Du musst … da kommt … also die Post.“ „Papa, soll ich auf die Post, was holen?“ „Hmmm …. Nein … Da kommt ein Pult.“ „Ach du meinst, die liefern was?“ „Ja.“ Ich sah, er rang nach Worten, aber es fiel ihm partout nicht ein, was er sagen wollte. „Filme, da …. Conrad ….“ Ohje, Post, Pult, Filme, Conrad da sollte ich dann was draus machen. Die Worte verloren sich ganz schnell. Als mein Vater 2013 im August ins Heim kam, hatte er schon heftige Wortfindungsstörungen. Immer mehr Worte eines Satzes wurden durch „dings“ ersetzt. Ich war hilflos, wollte ich doch nicht ständig nachfragen müssen, was er meint. Aber raten war auch schwierig. Zumal er schnell ungehalten wurde, wenn ich nicht gleich richtiglag.

Ich sah seinem Gesicht an, dass er selbst darunter litt, die richtigen Worte im Kopf zu haben, sie jedoch nicht mehr aussprechen zu können. Stotternd kamen oft alle möglichen Wörter, die ihm spontan einfielen aus seinem Mund. Was aber meinte er mit Pult und Film?
Er hatte zeit seines Lebens immer gerne fotografiert, ob er auf eine Filmbestellung wartete? „Papa, werden Filme geliefert?“ „…. Nein, der Pult …“ Mir fiel ein, dass Mama immer ein Stehpult im Wohnzimmer hatte, den er nicht mochte und nach ihrem Tod weggeräumte. Nächster Versuch von mir: „Das Pult von Mama kommt?“ Ein böses „Nein!“ kam aus seinem Mund. Er wurde sehr ungehalten, da er sich nicht ausdrücken konnte.

Einfach waren seine Erzählungen über die Vergangenheit. Die wurden zwar immer wieder neu kombiniert, aber darauf konnte ich mir einen Reim machen. Das Bild des Schneckenturms von Samarra hing über seinem Bett. Ich bin damals als Studentin, Anfang der 80er Jahre, immer wieder bei meinen Eltern in Bagdad in den Semesterferien zu Besuch gewesen. Ein großes Erlebnis war, mit meinem Vater diesen Turm zu besteigen. Ich litt damals schon unter leichter Höhenangst und wir waren beide glücklich, dass ich den Aufstieg schaffte und den Ausblick genießen konnte. Eine Sicherung der Treppe und des Plateaus oben war nicht vorhanden. Heute schaute er sich das Bild an, deutete auf den Turm und erzählte Geschichten über den Ayers Rock und die Aborigines, die über diese Treppe natürlich leichtfüßig aufs Plateau hochliefen. Mein Vater war nie in Australien, aber sein bester Freund war vor der gemeinsamen Baustelle in Bagdad zwei Jahre auf einer in Australien gewesen. Er hatte natürlich viel erzählt und noch mehr Dias gezeigt. So kamen beide Ereignisse in seinem Kopf zu einem zusammen.
Wenn er über Erlebnisse von seinen Auslandsbaustellen erzählte hatte er keine Wortfindungsprobleme, nur die Geschichten mischten sich immer wieder zu neuen Erzählungen. Das fand ich spannend.

Und die Sache mit dem Pult-Film? Nun ja, ich bot ihm an, so lange zu Hause zu bleiben, bis die Post kam und das Paket bringen würde – egal, was drin sein würde. Papa lehnt sich entspannt zurück und fragte: „Und? Wie kommt der dann jetzt hier rein?“ Aber das ist eine andere Geschichte.

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