(Gastbeitrag von Birgit Natale-Weber)
Gretel greift zum Messer, sie will die Butter haben. „Mama“, sagt David vorsichtig, „auf Aprikosen schmiert man keine Butter.“ Die alte Dame wundert sich. „Nicht?“, fragt sie, und schiebt die Butterdose zur Seite. (Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht“, David Sieveking.)
Die Diagnose kommt oft plötzlich und unerwartet: Demenz im Anfangsstadium. Dies bedeutet auch einen gravierenden Einschnitt in die eigene Lebenssituation der Angehörigen. Der Alltag verändert sich, Beziehungen werden belastet und die Familie wird auf die Probe gestellt.
Angehörige reagieren nach der Diagnose ganz unterschiedlich. Während die Einen unsicher und eher hilflos wirken, überspielen die Anderen ganz geschickt und souverän die neue Situation und versuchen zur Tagesordnung überzugehen. Doch eines haben beide gemeinsam: die Unsicherheit und Angst, wie es nun weitergehen soll.
Während meiner Zeit als Psychologie-Praktikantin in der Gerontoabteilung der Psychiatrie des Wetteraukreises in Friedberg durfte ich viele Gespräche mit Angehörigen führen, die zum ersten Mal mit dieser neuen Situation konfrontiert wurden. Ihre erste Befürchtung: „Wie geht’s jetzt weiter?“ Die Ärzte beschränken sich zunächst – verständlicherweise – auf den Patienten. Hierfür gibt es viele Ratschläge. Aber was ist mit dem Angehörigen? Ich erinnere mich noch gut an den Ehemann einer Patientin, der mich ungläubig ansah und sagte: „Ich schaff das nicht alleine und meine Kinder leben alle weit weg.“
Angehörige sind erst einmal auf sich alleine gestellt. Sie planen, organisieren, helfen, kümmern sich und unterstützen wo sie nur können – und überfordern sich. Hinzu kommt das schlechte Gewissen. Wenn ich dies alles nicht tue, bin ich ein schlechter Mensch, suggeriert uns eine innere Stimme. Manche Angehörige berichten mir, dass sie sich für ihre Gedanken, den Angehörigen in Pflege zu geben, schämen und sie das sehr belastet.
Wie können Angehörige mit Demenz umgehen?
Auch die geistige Veränderung des Patienten nimmt stetig seinen Lauf. Mit Sätzen wie „Stell Dich nicht so an“ oder „Was machst du denn schon wieder“ kann der Demenz-Erkrankte nichts anfangen. Er ist auf dem Weg in eine andere Welt und versteht immer weniger, was wir von ihm wollen. Auch diese Tatsache schockiert die Angehörigen. Besonders die Kinder von Patienten erleben ihren Elternteil völlig neu. Dabei ist es gar nicht so schwer, wenn wir annehmen können, dass Demenzkranke eine Reise an einen Ort antreten, der uns nicht zugänglich ist. Einen Teil davon verbringen sie oftmals in ihrer Kindheit. Das liegt daran, dass das Kurzzeit-Gedächtnis bei Demenz zuerst betroffen ist.
Doch wie gehen die Angehörigen mit dieser neuen Situation um, besonders mit Konflikten und den Gewissensbissen? Was darf der Angehörige für sich selbst tun? Und eine ebenfalls sehr wichtige Frage: Wie viel Abstand von der Situation darf der pflegende Angehörige halten?
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdbestimmung zu finden, ist die große Herausforderung von Angehörigen von psychisch erkrankten oder pflegebedürftigen Menschen.
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Die Autorin Birgit Natale-Weber widmet sich in ihren Workshops für Angehörige intensiv der Frage: „Wie gehe ich damit um?“ Sie stellt die Bedürfnisse der Angehörigen in den Mittelpunkt und zeigt Wege auf, um besser mit den Belastungen umzugehen. In den Workshops können Angehörige etwas für sich tun, ohne den Erkrankten zu vernachlässigen.
Wer Birgit Natale-Weber und ihre Arbeit kennen lernen möchte, findet alle Infos auf ihrer Website www.klartextcouching.de ein.
Sehr interessanter und wichtiger Beitrag.
Besonders der Aspekt der „Schuld“ ist enorm belastend. Sehr gut der Hinweis, niemand macht etwas falsch, wenn er Angehörige in die Obhut von Fachkräften gibt. !