Demente sind nicht doof

Demenz_Buch„Dement, aber nicht bescheuert“, so heißt das im letzten Oktober erschienene Buch von Michael Schmieder. Klar, dass ich es mir sofort gekauft habe, das ist ja „mein“ Thema. Schmieder ist Leiter einer Pflegeeinrichtung in der Schweiz, deren Konzept als vorbildlich in der Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen gilt.

Er beschreibt, wie sich über die Jahre auch für ihn selbst, sein Konzept entwickelt hat, wie das zusammen Wohnen in so genannten Pflegeoasen ganz praktisch funktioniert. Er zeigt die Schwierigkeiten und die unerwarteten, schönen Dinge, die entstehen, weil er und sein Team Demenzkranke in ihrem Sein akzeptieren und nicht versuchen, sie zu „therapieren“ und sie „unserer“ eigentlichen Welt anzupassen. Vieles von dem was ich erlebt habe mit meinem Vater finde ich dort wieder. Gut, dass ich schon die Jahre zuvor durch meine Berufstätigkeit über Demenz und den Umgang mit Patienten etwas informiert war. So konnte ich recht schnell damit umgehen, dass mein Vater eine andere Sichtweise, eine andere Perspektive auf Dinge und wie sie zu erledigen sind, hatte. Ich achtete nur darauf, dass er sich nicht selbst verletzte oder irgendwie anderen Schaden zugefügt hat. Dass er dann im Garten alle Pflanzen zurückgeschnitten hatte, die ihm im Weg waren, weil das Unkraut ist, war aus seiner Sicht okay. Für mich war wichtig, dass er draußen war und offensichtlich sehr viel Freude an seinem Tun hatte. Gut, der Garten sah etwas gerupft aus, aber was soll’s – mein Vater hatte Spaß und war sichtlich zufrieden. Da sollten die Nachbarn reden, was sie wollen. Das, was mir schwer fiel, war der Rollentausch zwischen meinem Vater und mir. Es ist, verdammt noch mal hart, nicht mehr die Tochter dieses Helden zu sein. Nein, nun muss ich selbst ein Auge auf diesen Helden haben.

Der Ansatz von Michael Schmieder gibt Demenz-Patienten ihre Würde zurück, weil sie in ihrer Welt leben können und hilft Angehörigen los zu lassen. Los zu lassen und auch die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen. Die Hinweise im Buch helfen sanft, diesen anderen Blick zu wagen und den Patienten mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen, denn sie sind ja nicht doof. „Wenn wir sie hingegen ernst nehmen und auf ihre Ängste und Bedürfnisse eingehen, sehen wir sie als Menschen. Und darauf kommt es an.“ (Umschlagtext)

Ich wäre froh, es gäbe hier in der Nähe eine solche Pflegeoase, meinen Vater hätte ich sofort dorthin gebracht. Wobei ich gerne mit Michael Schmieder persönlich reden würde, wie er Patienten mit sehr fortgeschrittener Demenz begegnet, die sich nicht mehr für uns verständlich artikulieren können und im Laufe der Zeit höchst pflegebedürftig werden. Wie leben sie in seinem Oasen-Konzept?

(Michael Schmieder, Dement, aber nicht bescheuert. Für einen neuen Umgang mit Demenzkranken, Ullstein Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-550-08102-6)

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