Freudig kam mir mein Vater entgegen gelaufen, als er mich im Treppenhaus sah. Es war im August 2013 kurz nachdem er ins Heim gekommen ist. „Schau mal“, rief er, „das bin ich!“ Neugierig lief ich hinterher, gespannt darauf, welches Bild er mir nun zeigen würde. Ich dachte an diejenigen, die ich in seinem Zimmer als Collage zusammengestellt hatte, da war auch ein sehr schönes von ihm dabei. Doch vor seiner Zimmertür machte er Halt und deutete auf ein Schild neben der Tür. Dort stand „Einzelzimmer – Herr Schäfer“! Stolz präsentierte er mir sein Schild. Immer wieder deutete er mit dem Zeigefinger drauf und rief freudig erregt: „Guck, das bin ich!“ Mit dem Finger deutete er abwechselnd auf das Schild und auf sich. Sein Blick platze vor Stolz.
„Papa, das ist ja toll, jetzt weiß jeder, wie er dich finden kann!“ – „Ja und ich erst!“ Stimmt, das war wichtig. Die ersten Tage fand er sein Zimmer nicht. Die hatten zwar alle ein bestimmtes Bild an der Tür, etwa einen Blumenstrauß, eine Sonne oder ein Auto. Trotzdem fand mein Vater sein Zimmer nicht. Er konnte den Blumenstrauß nicht wieder erkennen. Inzwischen vermute ich, dass er dazu keinen Bezug hatte. Wäre dort der Schneckenturm von Samarra abgebildet gewesen, er hätte es sofort gefunden. Schließlich bin ich öfter mit ihm auf diesen Turm gekraxelt.
Nun hatte er sein Schild und konnte lesen, wer in diesem Zimmer wohnt. Er ging mit mir rein und legte sich ins Bett. Eine Mitarbeiterin lugte durch die Tür und fragte vorsichtig „Wohnt hier der Herr Schäfer?“ Verschmitzt lächelte sie mich an. Mein Vater sprang aus dem Bett, nahm sie bei der Hand, ging mit ihr vor die Tür und zeigte mit stolz geschwellter Brust auf das Schild: „Da steht ‚Einzelzimmer – Werner Schäfer‘. Das bin ich!“ Jawoll.
Die Freude über das Schild dauerte noch einige Wochen an. Jedes Mal, wenn ich da war, machten wir uns einen Spaß daraus. Wenn wir nach einem Spaziergang durchs Haus wieder vor seinem Zimmer standen, fragte ich: „Wer hier wohl wohnt?“ Mein Vater flötete jedes Mal: „Da steht ‚Einzelzimmer – Werner Schäfer‘. Das bin ich!“ Und deutete erst auf das Schild und dann auf sich. Wir lachten uns fröhlich an und gingen in das Zimmer. Schließlich wohnte er ja hier.