„Ihr Vater war heute früh sehr aggressiv.“ Ich schaute die Pflegerin an, die dies so ganz nebenbei zu mir sagte, als ich meinen Vater am 6. Tag im Krankenhaus besuchte. „Was war denn los?“ wollte ich wissen. „Wir mussten ihm einen Katheder anlegen, da wir eine Urinprobe brauchten, da hat er plötzlich um sich geschlagen.“ Hm?! Ich stellte mir vor, dass die Pflegerin an seinem Bett gestanden hat und sagte: „Herr Schäfer, wir legen jetzt einen Katheder an!“ und sofort loslegte. Das kann ja nur schiefgehen. „Wissen Sie, bei schwer dementen Patienten geht das nicht so fix. Und wie soll er Ihnen denn mitteilen, dass er das nicht mag? Er kann sich ja nicht mehr verständlich machen.“ Sie zuckte mit den Schultern und ging.
Ich kann das alles gut nachvollziehen, die Mitarbeiter in einem Krankenhaus haben nicht viel Zeit. Mein Vater hätte mindestens 10 Minuten Zuwendung gebraucht, um für eine Untersuchung bereit zu sein. Nach fast einer Woche Krankhaus war ich es müde, immer wieder darauf hinzuweisen. Die Mitarbeiter können ja nichts dazu. Aber wäre es nicht sinnvoll, wenn sie wenigstens verpflichtend an einer Fortbildung teilnehmen müssten, die sie auf Demenz-Patienten vorbereitet? Schließlich werden das ja immer mehr.
Meinem Vater ging es körperlich nach dieser Woche langsam etwas besser. Zumindest so weit, dass ich nicht mehr bei jedem Anruf hochschreckte, weil ich dachte, nun komme eine Hiobsbotschaft aus dem Krankenhaus. Es dauerte bei ihm länger, bis er auf Medikamente ansprach. Aber nun schien die richtige Kombination gefunden worden zu sein. Sein Puls war weitgehend normal, nur noch ein paar andere Werte sollten überprüft werden – noch drei oder vier Tage, dann könne er wieder ins Heim zurück versicherte mir die Ärztin.
Kummer bereitete jedoch, dass er nicht richtig essen wollte. Er ‚vergaß‘ zu schlucken. Immer wieder musste man ihn daran erinnern. Das Füttern dauerte lange. Dafür hatte im Krankenhaus auch niemand recht Zeit. Ich schaffte es irgendwie, dass ich fast regelmäßig mittags da sein konnte und reichte ihm das Essen an. Ein halber Teller in 45 Minuten schafften wir. Nicht viel, aber immerhin. Geduldig und mit viel Liebe erinnerte ich ihn bei jedem Bissen an das Schlucken und wartete bis er so weit war. Verwunderlich war, wie viel Geduld ich aufbringen konnte, war ich doch eher ein ungeduldiger Mensch. Aber bei Papa freute ich mich über jeden Bissen, den er runterbekam.
Wir waren gerade beim Nachtisch angekommen. Vanillepudding – Süßkram mochte er am Liebsten. Da rauschte eine Pflegerin rein, strahlte uns an und sagte: „Oh wie schön, er isst heute gut!“ Meinem fragenden Blick entgegnete sie: „Pudding mag er doch so. Ich horte ihn von den Patienten, die die Portion zurückgeben und jedes Mal wenn ich am Zimmer Ihres Vaters vorbeigehe, gehe ich rein und er bekommt ein paar Löffel von mir. So viel Zeit kann man zwischendurch doch mal aufbringen.“ Ich schaute sie an, als ob sie ein Engel wäre. „Aber jetzt ist er ja gut versorgt, ich guck‘ in einer Stunde wieder vorbei und mal sehen, was er dann mag. Ihre Tochter ist übrigens auch ne ganz nette“, sprach‘s und rauschte mit fröhlichem Gegickel wieder aus dem Zimmer.
Guck an, so kann’s auch gehen! Nein, ich will gar nicht meckern; ich kann die Zwänge gut nachvollziehen. Alle waren sehr nett im Krankenhaus, wenn ich was wissen wollte, war innerhalb kürzester Zeit jemand da, der mir Auskunft geben konnte.
In diesen 10 Tagen Krankenhaus hat mein Vater kein Wort gesprochen und er ist sehr mager und schwach geworden. Meine Gedanken und Gefühle fuhren Achterbahn. Es ging ihm körperlich deutlich besser als er entlassen wurde, war aber praktisch nicht mehr ansprechbar und hat selbst kaum mehr auf etwas reagiert. In diesen Tagen hatte ich mehrmals gewünscht, dass er friedlich sterben kann und war froh, dass er es überlebt hat.
Im Heim hat er eine gute Woche gebraucht, um sich wieder einzuleben. Hier waren die Menschen, die ihn seit drei Jahren kannten, die Zeit hatten mit ihm langsam in seinem Tempo zu essen, die die Getränke andickten, damit er sich nicht mehr verschluckte. Menschen, die sich auch mal an sein Bett setzten und mit ihm sprachen, die sich im Gemeinschaftszimmer neben ihn setzen und mal zwischendurch streichelten.
Inzwischen hat er wieder etwas angesetzt, wie man so schön sagt. Er isst gut und viel. Trinkt wieder ohne, dass es angedickt werden muss. Nimmt deutlich mehr Anteil an dem was um ihn passiert, seine Augen sind wieder lebendiger und er spricht tatsächlich wieder ab und zu, wenn er Lust hat. Er ist nicht mehr wie vorher, es wird keine nächtlichen Ausflüge durch die Tiefen des Kellers im Heim mehr geben, oder Versuche nach draußen zu gelangen. Inzwischen braucht er den Rollstuhl, da er zu schwach zum Laufen ist. Aber er kann wieder Stehen und damit etwas leichter in den Rollstuhl „steigen“, wenn er aus dem Bett kommt. Er wird in drei Wochen 80 Jahre und egal wie – das muss gefeiert werden!
Dazu passender Blogpost: Im Krankehaus – Notaufnahme
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