Frühlingsmüde

squirrels-834483_1920Es war so still auf der Station als ich letzte Woche da war. Kein Gebrummel, kein Singen, kein Geschimpfe oder lautes Rufen, war zu hören. Niemand lief umher, keiner rückte Stühle oder dekorierte lautstark Zimmer um. Es war eine seltsame Ruhe, die ich schon bemerkte als ich klingelte und das Haus betrat. Selbst der Mensch an der Pforte war leiser als sonst. Niemand empfing mich im Vorraum an der Telefonzelle. Sonst waren hier mindestens drei Bewohner, die sich darum stritten, wer zuerst seinen Anruf tätigen dürfe. Kein fröhliches Geplapper im Speisesaal, nur Geschirrgeklapper und leises Summen aus der Küche.

Ich ging auf Station ins Gemeinschaftszimmer, da saßen zwar vier Gäste, jedoch völlig in sich versunken. Nur Sami, der fröhliche neue Pfleger, strahlte mich an und rief mit freundlichen breiten Lachen: „Hallo, hallo wie geht es Ihnen? Schön, dass Sie da sind. Ihr Vater ist in seinem Zimmer.“ Sami ist ein toller Pfleger, er hat sofort mein Herz erobert mit seiner offenen, freundlichen, aber konsequenten Art mit den Bewohnern und auch den Angehörigen umzugehen. Ich strahlte unwillkürlich zurück und rief: „Schönen Tag, ich geh dann gucken, was er macht.“

Papa lag im Bett und vor dem Bett war eine Pfütze. Meine erste Befürchtung bestätigte sich nicht. Es war verschütteter Kaffee. Er ist tatsächlich mit der Kaffeetasse in der Hand eingeschlafen. Die hielt er so fest, fast krampfhaft, dass ich sie nicht nehmen konnte. Gut, dann sollte er sie behalten. Ich suchte ein Tuch, um den Kaffee vom Boden auf zu wischen. Es war keines zu finden. Der Schmutzraum natürlich verschlossen. Also ging ich zum Stationszimmer, um Sami zu holen. Auf dem Weg schaute ich in die offen stehenden Zimmer hinein. Der Mann mit dem Rillo lag friedlich, schnarchend auf dem Rücken im Bett. Ein Zimmer weiter, die beiden Damen, die sonst fröhlich Wanderlieder trällernd über den Flur huschten – beide tief schlafend, eine im Bett, die andere auf dem Sessel. Im gemeinschaftlichen Wohnzimmer, lag „Oma“ mit einer Babypuppe im Arm selig schlummernd in ihrem heiß geliebten Sitzsack. Aus allen Zimmern hörte ich regelmäßige tiefe Atemzüge.

Als ich Sami entdeckte und ihm von Papas Malheur berichtete, ging er gleich Eimer und Putzlappen holen. In Papas Zimmer wischte er den Boden auf. Ich versuchte wieder, die Tasse aus Papas Hand zu winden. Kurz schaute er mich an, dann die Tasse, ließ sie los, murmelte etwas in seinen Bart, drehte sich um und schlief weiter.
Ich schaute Sami an: „Die schlafen heute alle, aber auch wirklich alle.“ „Ja“, sagte er, „selbst der Mann mit dem Rillo und der General, die sonst sehr aktiv sind, schlafen im Moment 20 Stunden am Tag.“ „Meine Güte, hier liegt was in der Luft. Was ist da nur los?“

Sami strahlte mich an: „Es ist Frühling, Madame!“

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