Der Mann mit dem Rillo

palenie cygara, cygaro w rce - w tle deski, drewno„Ohje, Papa, da müssen wir aber schnell was machen.“ Er schaute mich erstaunt an und an sich hinunter. Am liebsten hätte ich heftiger reagiert, denn was ich sah, hat mir – vorsichtig ausgedrückt – den Atem verschlagen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
An Demenz Erkrankte gehen phasenweise sehr kreativ mit ihren Körperausscheidungen um. Ja, auch das Thema will ich ansprechen, es gibt halt nicht nur die „schönen“ Geschichten mit einem Bonmot am Schluss. 
Demenz birgt in vielen Lebenslagen unterschiedliche Überraschungen, darauf mit Vorwürfen zu antworten, bringt nichts. Weder den Angehörigen, noch den Patienten. Man sollte auf alles, wirklich alles, gefasst sein.

Ich zählte langsam bis zehn und sagte zu meinem Vater: „Bleib bitte genau so sitzen, ich hole jemanden, der uns hilft.“ Er blieb tatsächlich genau so sitzen. Ich fand schnell eine Pflegerin, der ich kurz schilderte, was passiert war. „Ich nehm Ihren Vater mit ins Bad, hier ist frische Bettwäsche, wenn Sie so freundlich wären in der Zwischenzeit das Bett zu beziehen, hilft mir das sehr.“ Kurze, klare und freundliche Anweisungen, kompetent rübergebracht, so liebe ich das. Ich war froh helfen zu können, mit einer Aufgabe, die ich mir zutraute.
Der freundlichen Aufforderung: „So, Herr Schäfer, kommen Sie mal bitte mit mir“, folgte mein Vater sofort. Trotzdem blickte er sich um, um herauszufinden, was ich wohl tat. Aufmunternd sagte ich: „Geh nur, ich mach dein Bett derweil frisch.“

Die beiden waren im Bad verschwunden und ich hatte das Bett schnell bezogen. Dabei grübelte ich darüber, warum Demente wieder wie „kleine Kinder“ werden und warum mir das peinlich ist. Schob die Gedanken aber schnell wieder weg, weil sie zu nichts führten. Es ist wie es ist und so muss ich es nehmen. Punkt.

Da ging die Tür auf und der freundliche Bewohner, der uns schon mal im Zimmer besucht hatte, kam fröhlich, einen Zigarillo rauchend ins Zimmer. „Uihhh, Sie dürfen hier rauchen, cool“, war meine erste Reaktion. Er sagte fröhlich: „Das ist mein Rillo und den geb ich nicht wieder her.“ Seine nächste Frage war: „Und was machen Sie hier in meinem Zimmer?“ – „Das ist das Zimmer meines Vaters.“ – „Ach, und was meinen Sie, wo ich eigentlich wohne“, fragte er fordernd, zwischen zwei tiefen Zügen am Rillo. „Das weiß ich nicht. Wo ist denn Ihr Zimmer?“ – Er schaute mich verschmitzt an: „Das ist das Rätsel des Tages! Ich weiß auch nicht wohin ich gehöre!“ – „Wenn Sie mir sagen, wie Sie heißen, finden wir das Zimmer vielleicht zusammen, da stehen ja Namen an den Türen.“ Er überlegte, schaute auf die Tür und las: „Werner Schäfer. Nein, das bin ich ja nicht“, guckte mich erst traurig an und zwinkerte mir dann zu: „Ich heiße Schimmelschön-Käserübe-Langenscheid.“ Ich zwinkerte zurück: „Dann suchen wir jetzt mal ihr Namensschild.“

Wir wollten gerade gemeinsam losziehen, da kam die Pflegerin mit meinem Vater um die Ecke, der sofort auf sein Bett zusteuerte und sich seufzend reinplumpsen ließ; er drehte sich zufrieden um und schlief sofort ein. Die Pflegerin nahm Herrn Schimmelschön-Käserübe-Langenscheid mit den Worten am Arm: „Kommen Sie Herr Müller, ich zeig Ihnen noch mal den Raucherraum.“ Er zog schelmisch grinsend von dannen.

Ich setzte mich an Papas Bett, hielt seine Hand und erzählte ihm von meiner Begegnung mit Herrn Schimmelschön-Käserübe-Langenscheid. Derweil schnarchte mein Vater zufrieden weiter.

4 Gedanken zu „Der Mann mit dem Rillo

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