„Vater“ – ein Theaterstück

Vater_Theater„Irgendetwas Seltsames passiert. Als hätte ich Löcher im Gedächtnis. Kriegt keiner mit. Winzig klein. Mit bloßem Auge nicht zu sehen. Aber ich, ich spüre es …“, sagt André zu seiner Pflegerin am Ende im Heim.

André ist die Hauptfigur im Theaterstück „Vater“ von Florian Zeller. Es zeigt 15 Szenen aus dem Leben des dement werdenden André. Seine Tochter versucht, eine Betreuerin zu organisieren, ihr Vater  meint, er komme natürlich noch sehr gut allein zurecht. Jedoch verschwinden seine Dinge und er wird böse („ich werde bestohlen“), Möbel werden umgestellt („wer hat das dahin gestellt, man könnte mich wenigstens mal fragen.“), er kommt mit Zeiten und Jahren durcheinander und wähnt seine tote Tochter auf Weltreise und schimpft sie treulos, weil sie ihn nicht besucht.
Den Freund der lebenden Tochter, Anne, verwechselt er mit deren Ex-Gemahl, von dem sie schon seit Jahren geschieden ist. Und geht Anne nun nach London, oder nicht? „Sie kann mich doch nicht allein lassen.“ Jeden Tag etwas anderes und niemand sagt etwas Genaues. Es gibt schräge, bedrückende und komische Szenen aus dem Alltag. Der Abend wird zum Morgen, das Frühstück zum Abendessen und den ganzen Tag gibt es Brathähnchen. Fremde wohnen auf einmal in Andrés Wohnung und nisten sich ein, Anne funktioniert nicht so, wie André das gewohnt ist.
Anne ist überfordert und möchte für Ihren Vater nur das Beste, sie weint, weil sie ihm plötzlich Gute-Nacht-Leider vorsingen soll, aber „er ist sofort nach der ersten Strophe eingeschlafen – es ist zum Verzweifeln.“

Ja, ich kann die Zerrissenheit der Familie gut verstehen. Viele Szenen sind mit bekannt. Froh bin ich, dass mein Vater nie jemanden verdächtigte, etwas gestohlen zu haben. Er wurde nie böse oder übellaunig. Damit umzugehen ist schlimm, das sehe ich jedes Mal im Heim, wie es die Angehörigen bedrückt. Oft mache ich mir Gedanken, wie an Demenz erkrankte ihre Umgebung wahrnehmen.

Wie – das zeigt diese Theaterstück, denn es ist konsequent aus der Sicht des dementen André geschrieben. Das führte bei mir bei den ersten drei Szenen selbst zu Verwirrungen. Ich dachte immer wieder „huch, wie das jetzt, das war doch vorhin anders – was hat plötzlich diese Frau hier zu tun? Die war doch zuvor in einer andern Rolle.“ Diese Perspektive ist so erschreckend konsequent, dass sich die Zuschauer in jeder Szene neu finden müssen. Ich kann mir vorstellen, dass das bei Demenzpatienten wirklich so ist, dass auch sie sich in jeder Situation neu finden müssen und der Gesamtbezug fehlt, weil man diesen nicht mehr herstellen kann. Manchmal ist diese Perspektive sehr beklemmend.

Das Stück läuft noch bis Ende Mai im Fritz-Rémond-Theater im Zoo in Frankfurt/Main. Ein Besuch ist lohnenswert, wenn man sich mit dem Thema alt werden und Demenz befasst / befassen muss. Die schauspielerische Leistung der Hauptakteure, Wilfried Elste als André und Verena Wengler als Anne, ist großartig.

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