„Es ist in den letzten sechs Wochen deutlich schlimmer geworden, Frau Schäfer! Er kann, außer Zähne putzen, praktisch nichts mehr selbst machen. Er nimmt kognitiv kaum noch etwas auf.“ Das saß! Und wenn ich ehrlich bin, es bestätigt meine Beobachtung, ich wollte sie nur nicht wahrnehmen. Mein Vater zog sich in den letzten Wochen immer mehr zurück. Das will ich nicht wahrhaben weiterlesen
Archiv der Kategorie: Wahrnehmung
Papa, bitte geh duschen
„Papa, bitte geh duschen, du stinkst wie ein Waschbär!“ Seit einigen Monaten schon vergaß mein Vater zu duschen. Bisher hatte diese Ansage immer geholfen. Er schaute mich dann erschrocken an, roch unter den Achseln und sagte: „Ohje! Na dann geh ich mal!“ Wenig später kam er stolz aus dem Bad mit selbstgefälligem Blick. „Wow, jetzt bist du schick und riechst wieder sehr gut“, antwortete ich. Er grinste schelmisch. Papa, bitte geh duschen weiterlesen
Saddam kommt heute nicht mehr
„Lächeln, Papa, lächeln bitte, wir wollen das Bild doch den Mädels schicken!“ Ich versuchte mich als „Pausenclown“, um meinem Vater ein Lächeln abzugewinnen. Er wollte fotografiert werden und das Bild seiner Enkelin schicken, die gerade für ein halbes Jahr in Südamerika war. Nun, das mit dem Lächeln klappte mehr recht als schlecht. „Papa, Lächeln ist das, wo man die Mundwinkel hochzieht! – Beide!“ Saddam kommt heute nicht mehr weiterlesen
Rapsfelder
„Schau mal da links ist ein riesiges Rapsfeld!“ Ich zeigte mit der ganzen Hand auf die linke Straßenseite. Mein Vater schaute gar nicht rüber, sondern starrte vor sich hin. Es war im Mai 2014. Ich hatte ihn zu einem Ausflug in seine alte Heimat mitgenommen. Vielleicht hatte ich eine zu romantische Vorstellung, dass er vieles wieder erkennen würde, wenn wir durch die Landschaft des Vogelsberges fuhren. Zumindest wurde die Romantik schon nach 10km gestoppt, als er sagte: „Ich muss mal kacken!“ Rapsfelder weiterlesen
Auf Streife
Ich schrecke hoch und denke im ersten Moment: „Da sind Einbrecher im Haus!“ Was soll ich tun? 1000 Gedanken schwirren mir durch den Kopf und – ich muss unbedingt auf Toilette. Also, was nun? Langsam, ganz langsam, stehe ich aus dem Bett auf und versuche mich, so geräuschlos wie möglich anzuziehen. Da! Schon wieder ein Geräusch, diesmal näher als vorher. Ein bisschen mulmig ist‘s mir schon. Auf Streife weiterlesen
Die Heizung
„Mamaaaa… Das Wasser ist eiskalt!“ Tochter 2 kreischt aus der Dusche. Es ist morgens um 6:30 Uhr, Februar 2011, und sie will sich für die Schule fertig machen. Sie kommt betrübt aus der Dusche raus und hängt sich schlotternd ein Badetuch um und dreht den elektrischen Heizofen an. Der Heizkörper will auch nicht so recht, obwohl er um diese Zeit richtig einheizen müsste.
Ich teste alle Heizkörper in der Wohnung – alle kalt! „Meine Güte, die Heizung wird doch nicht kaputt sein“, schoss es mir durch den Kopf, „das braucht man um diese Jahreszeit wie einen Kropf am Hals.“ Die Heizung weiterlesen
Sprüche klopfen
„Oh, es waren mal wieder neue Leute dabei, dein Vater konnte alle seine alten Geschichten und Sprüche loswerden“, das antwortete meine Mutter oft, wenn sie von einer Einladung heimkamen und ich wissen wollte, wie es denn war. Stimmt. Mein Vater stand gerne im Mittelpunkt und erzählte gerne Geschichte, die von Mal zu Mal anders wurden. Er schmückte gerne aus, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu bekommen und sie hörten gerne zu. So war mein Großvater schon, „das liegt in der Schäfer-Familie“, klärte meine Großmutter auf. Sprüche klopfen weiterlesen
Memory
Mein Vater saß im Gemeinschaftszimmer mit der Ergotherapeutin und spielte Memory. Es war im September letzten Jahres. Es erstaunte mich damals immer noch, dass „Kinderspiele“ wunderbar mit Dementen gespielt werden konnten. Auf jeden Fall saß er konzentriert mit der Therapeutin über den Tisch gebeugt und drehte langsam und bedächtig die Bildkärtchen um. Memory weiterlesen